Billig, billiger, tödlich
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Online-Shopping über asiatische Plattformen erzielt nicht nur bei den Preisen einen neuen Tiefstand, sondern auch bei Qualität, Sicherheit und Umweltverträglichkeit von unkontrolliert importierten Kinderprodukten. Welche schwerwiegenden Konsequenzen das haben kann, deckte im vergangenen Jahr eine Studie der spanischen Allianz für Kinderverkehrssicherheit (AESVi) auf. Sie testete zehn Autokindersitze, die über Online-Plattformen und Herstellern auch aus Asien gekauft worden waren. Joan Forrellad, Generalsekretär der AESVi und Manager im Bereich Forschung, Entwicklung und Design bei der Janè Group, Hersteller von Autokindersitzen und Kinderwagen, beschreibt die erschreckenden Ergebnisse.
Herr Forrellad, was war die Ausgangssituation für die Studie der AESVi?
Der Direktimport von Produkten in den europäischen Markt vor allem durch E-Commerce-Plattformen wächst stetig. Dadurch haben Verbraucher Zugang zu einer großen Produktvielfalt zu sehr günstigen Preisen. Die mangelnde Einhaltung europäischer Normen vor dem Hintergrund ungenügender Zollkontrollen können bei Produkten, deren Einfuhr sich den Regulierungsmechanismen entzieht, ein Risiko für die Gesundheit und Sicherheit der Verbraucher darstellen. Die OCU, eine spanische Verbraucherorganisation, warnte nach einer ersten Untersuchung, dass auf großen E-Commerce-Marktplätzen wie Aliexpress, eBay, Amazon, LightInTheBox oder Wish täglich Millionen von Produkten verkauft werden, die nicht den Sicherheitsvorschriften der EU entsprechen und somit ein ernstes Risiko für die Nutzer darstellen. AESVI beschloss darauf, über Direktimport bestellte Autokindersitze in einem wissenschaftlichen Forschungsbericht zu analysieren. Dafür wurden zehn Sitze für verschiedene Altersgruppen nach dem Zufallsprinzip von den beliebtesten Online-Verkaufsplattformen gekauft, ohne dabei Marken, Preise oder technische und rechtliche Konformitätskriterien zu berücksichtigen. Autokindersitze müssen in Europa sehr strenge Anforderungen erfüllen. Über Direktimport bestellte Sitze gelangen jedoch in den Handel, ohne dass diese Vorschriften eingehalten werden und ohne dass es irgendeine Form der Kontrolle gibt.
Zu welchen Ergebnissen kam Ihre Studie?
Die Sitze wurden verschiedenen Tests, u. a. auch einem simulierten Frontalaufprall im spanischen Labor IDIADA unterzogen. Die Ergebnisse zeigten, dass keiner der erworbenen Autokindersitze unter den geltenden Bedingungen der EU hätte zertifiziert werden dürfen. Bei den dynamischen Tests brachen Schnallen, lösten sich Gurte, die Dummies flogen aus dem Sitz. In einer realen Unfallsituation hätte dies zu schweren Verletzungen im Nackenbereich, im Bauch und Brustkorb eines Kindes geführt. Ein Sitz wurde mit ISOFIX-Vorrichtung beworben, war aber nicht mit ISOFIX-Bügeln ausgestattet. Ein anderer Sitz sollte mit einer Rückenlehne für Kinder bis 150 cm Körpergröße ausgestattet sein, konnte aber ab 105 cm nicht weiter verstellt werden. Ein Sitz war eine exakte Fälschung eines bekannten US-Modells, ein anderer hatte lediglich eine Gebrauchsanleitung in Mandarin. In 60 % der Fälle fehlte die europäische Zulassungsnummer, in 70 % der Fälle die gesetzlich vorgeschriebene Produktkennzeichnung. Keiner der Autokindersitze hatte eine Zollkontrolle durchlaufen und keiner erfüllte letztlich die Vorgaben der EU für Kinderrückhaltesysteme.
Welche Folgen haben die Ergebnisse der Studie? Haben Behörden oder Gesetzgeber reagiert? Sind Sie und die Hersteller damit an die Öffentlichkeit gegangen?
Zurzeit sind wir dabei, die Studie vorzustellen und zu veröffentlichen – in Madrid vor Fachmedien, im Dezember auf dem internationalen Forum „Protection of Children in Cars (POCC)“ in München, was auf großes Interesse stieß. Die Studie wurde auch auf dem Forum des Parlaments von Aragonien vorgestellt. Angesichts dieser schwerwiegenden und alarmierenden Ergebnisse kommen die Autoren dieser Studie zu dem Schluss, dass die internationale Zusammenarbeit bei der Überwachung und Durchsetzung von Normen unerlässlich ist. Darüber hinaus wird die Verwaltung dringend aufgefordert, die derzeitige Politik zur Kontrolle von Online-Direktimporten zu überprüfen, um den Erwerb gefährlicher Kinderrückhaltesysteme zu verhindern. Die gemeinsamen europäischen Verordnungen verfügen über Mechanismen, um den Zugang von unsicheren Nicht-EU-Produkten zu unserem Markt zu blockieren, aber es ist offensichtlich, dass sie nicht angewendet werden.