Lieferanten an der Lieferkette
BDKH-BranchenTalk mit Dr. Simon Spangler, Oppenhoff
- Interview
Seit Jahresbeginn ist das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) in Kraft. Es verpflichtet große Unternehmen zu definierten Sozial- und Umweltstandards und dazu, entsprechende Pflichten an ihre Zulieferer vertraglich weiterzugeben. Die ersten Monate zeigen, dass manche namhafte Akteure bereits versuchen, Pflichten auf ihre Lieferanten abzuwälzen, die deutlich über das gesetzlich geforderte Maß hinausgehen. Der Anwalt Dr. Simon Spangler von Oppenhoff & Partner erklärte im BDKH-BranchenTalk Anfang März 2023, was Zulieferer nun beachten sollten.
Herr Dr. Spangler, das LkSG betrifft aktuell nur Unternehmen ab 3.000 Mitarbeitern. Sie sprechen hier aber von einem „Etikettenschwindel“. Warum?
Die verpflichteten Unternehmen müssen nicht nur im eigenen Geschäftsbereich, sondern auch entlang ihrer Lieferkette dafür sorgen, dass Menschen- und Umweltrechte eingehalten werden. Dazu müssen sie vertragliche Vereinbarungen mit ihren Zulieferern treffen, sei es durch Vertragsergänzungen oder sog. Supplier-Code-of-Conducts. Die Bezeichnung dieser Regelwerke ist unterschiedlich. Entscheidend ist, dass die Pflichten des LkSG auf diese Weise längst für eine Vielzahl von Unternehmen jeder Größenordnung gilt. Ich schätze die Zahl hier auf mehrere 100.000 Unternehmen. Und sie alle fragen sich „Wie gehe ich damit um?“.
Um welche Sorgfaltspflichten geht es?
Es geht – angelehnt an die entsprechenden UN-Konventionen und Abkommen – beispielsweise um die Vermeidung von Kinderarbeit, von schlimmen Formen der Jugendarbeit, um angemessenen Arbeitsschutz und Lohn, um Koalitionsfreiheit, das Verbot schädlicher Chemikalien oder die umweltgerechte Entsorgung von Abfällen. Verstöße dagegen können zumindest für die unmittelbar verpflichteten Unternehmen zu Bußgeldern bis zu zwei Prozent des jährlichen Jahresumsatzes führen.
Was bedeutet das konkret für Unternehmen mit mehr als 3.000 Mitarbeitern in Deutschland?
Diese Unternehmen fallen seit Jahresanfang direkt in den Anwendungsbereich des Gesetzes und müssen die Vorgaben des LkSG vollumfänglich erfüllen. Konkret bedeutet dies, dass entweder ein bestehendes ESG-Managementsystem auf den neusten Stand gebracht werden oder – falls noch nicht vorhanden – sogar neue Strukturen und Verantwortlichkeiten geschaffen werden müssen, einschließlich der Einrichtung einer Beschwerdestelle, an die Vertragspartner und Dritte Verstöße melden können. Außerdem ist ein Riskmapping der Lieferantenstrukturen durchzuführen und Risiken entsprechend zu gewichten, z. B. nach Branchen und Herkunftsländern. Das LkSG sieht daneben eine Reihe von Präventionsmaßnahmen vor. Eine davon ist es, Zulieferer über Lieferantenerklärungen bzw. Supplier-Code-of-Conducts vertraglich zu verpflichten.
Die Lieferantenerklärungen fordern allerdings so weitreichende Maßnahmen von den Zulieferern, dass Anwälte wie Sie momentan viel zu tun haben.
Hier brennt momentan in der Tat die „Hütte“. Viele unserer Mandanten sind plötzlich mit einer Vielzahl unterschiedlicher Vertragswerke konfrontiert und fragen sich, ob sie das jeweils einfach so unterschreiben sollen. Rechtlich fehlen die Erfahrungswerte aus der Praxis. Aus meiner Sicht steht aber fest, dass die Forderungen an die Zulieferer weit über das hinausgehen, was das LkSG vorschreibt. Ein Beispiel sind Zusatzregelungen zu Kartell- und Datenschutzrecht oder Korruption, die mit dem LkSG wenig zu tun haben.
Zulieferer tun gut daran genau zu überlegen, welche Risiken und praktischen Probleme sie sich mit ihrer Unterschrift möglicherweise ins Haus holen. Wie die geforderten Maßnahmen mit angemessenem Aufwand und Kosten bei geringer Manpower umgesetzt werden können. Oder wie die Vorgaben einer Vielzahl von Lieferantenerklärungen bei einem Verstoß gegen das LkSG gleichzeitig erfüllt werden sollen.
Angenommen, eine vom LkSG direkt verpflichtete Handelsplattform A schließt mit Unternehmen B eine Lieferantenerklärung ab. Nun wird beim Drittzulieferer C, der B beliefert, ein Umweltverstoß festgestellt. Was passiert?
Im Einzelfall hängt das natürlich von den vertraglichen Regelungen ab, die Lieferant B unterzeichnet hat. Letztlich wird sich B verpflichtet haben, dass die entsprechenden Sorgfaltspflichten auch mit seinen Zulieferern zu vereinbaren sind. Außerdem gelten Kooperations- und Informationspflichten. Das bedeutet, B hat A über den Verstoß zu informieren und in aller Regel mit A die Maßnahmen zur Beseitigung des Verstoßes abzustimmen. Falls diese nicht fruchten, muss B als Ultima Ratio sogar die Geschäftsbeziehung mit C beenden.
In diesem Kontext ergeben sich dann eine Reihe weiterer Herausforderungen. So könnte B gezwungen sein, die Identität von C an A preiszugeben, obwohl B vielleicht gar nicht mitteilen möchte, wer sein Zulieferer ist oder welche Produkte er verarbeitet. Die Auskunftspflicht kann unter Umständen auch noch weitere Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse umfassen. Ein großes Thema sind auch die teilweise zu beobachtenden weitreichenden Kontroll- und Auditierungsrechte, die es Händler A erlauben würde, sich im Betrieb von Hersteller B genau umzusehen.
Ist das denn noch im Sinne des Gesetzes?
Laut LkSG sollen verpflichtete große Unternehmen die Inhalte des Gesetzes entlang ihrer Lieferkette lediglich in angemessener Art und Weise adressieren. Weitreichende Verpflichtungserklärungen dürften daher schnell rechtliche Grenze überschreiten. Außerdem ist zu beobachten, dass teils versucht wird, den Lieferanten in eine umfangreiche Haftung zu zwingen, unabhängig vom Risikostatus.
Wie können sich kleinere Unternehmen vor diesen weitreichenden Verpflichtungen schützen?
Das ist momentan noch juristisches Neuland. Zunächst kann versucht werden, im Einzelfall mit dem Kunden die Erklärungen auszuverhandeln. In der Praxis werden hier aber gerade Unternehmen mit wenig Verhandlungsmacht schnell an ihre Grenzen stoßen. Eine alternative Idee ist, dass Zulieferer proaktiv eine Eigenerklärung abgeben, um der Vielzahl unterschiedlicher Kodizes zuvorzukommen und gleichzeitig rechtliche Grenzen abzustecken. In den Eigenerklärungen wird dann versichert, alles Notwendige zu tun, damit der große Partner die gesetzlichen Anforderungen erfüllen kann – aber eben auch nicht mehr. Auch die Ergänzung, dass man grundsätzlich und soweit rechtlich möglich nicht für Schadensersatz hafte, ist zu empfehlen. Ich weiß, in der Realität gibt es letztlich Abhängigkeiten. Es kann daher natürlich passieren, dass dennoch auf die Unterzeichnung eines Lieferantenvertrags bestanden wird und dieser dann auch rechtsgültig ist. Aber vielleicht kann der Zulieferer wenigstens einen Teil der Forderungen mit einer Eigenerklärung vermeiden.
Sind solche Lieferantenverträge, sobald sie unterzeichnet sind, immer rechtsverbindlich?
Eine zu weitreichende Haftung oder zu unbestimmte Regelungen können im Einzelfall dazu führen, dass die Verträge zumindest teilweise unwirksam sind. Vielfach werden diese Vereinbarungen aber einer gerichtlichen Überprüfung standhalten. Das Gesetz zielt im Ergebnis auf ein Level-Playing-Field ab. Das heißt, die Gewährleistung gleicher und fairer Wettbewerbsbedingungen für alle Teilnehmer eines Marktes. Die Intention ist dabei nicht, dass Kunden ihre Verpflichtungen pauschal auf ihre Zulieferer abwälzen.